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Eine Reise in den Körper

Ausstellung zeigt faszinierende Farbbewegungen

Klara Schlütter und Reinhard Wittkowski setzen mit ihrer Malerei Akzente im „Zentrum Anatomie“ der Universität zu Köln


VON JüRGEN KISTERS


Dass die Foyers öffentlicher Gebäude ideale Kunstorte sind, hat sich längst herumgesprochen. Und gerade unter Künstlern steht fest, dass diese Zonen, in denen gewartet oder hindurchgeeilt wird, immer für einen beiläufig-aufmerksamen Blick gut sind. Im „Zentrum Anatomie“ der Universität Köln sind die Wände im Eingangsbereich so gro߸ und auffallend, dass auch die dort hängende Kunst unweigerlich auffällt. Sogar dann, wenn es sich um Gemälde handelt, die kein erkennbares Motiv zeigen. Die Gemälde von Klara Schlütter und Reinhard Wittkowski, die derzeit dort zu sehen sind, bestehen aus nichts als Farbbewegungen. Das ist ein vielfach durchflutetes Flimmern kleinster Partikel in zarten Farbgeweben bei Schlütter. Und das sind gewaltige Farbschwünge und fleingliedrige Verästelungen bei Wittkwoski.

Nichts drängt sich den Betrachtern auf. Höchstens die Feststellung, dass man sich schon ein wenig Zeit nehmen muss, wenn diese Kunstwerke zu einem Erlebnis werden sollen. Diejenigen, die das tun, finden sich auf einer Fantasiereise wieder, die einmal in den Innenraum unseres Körpers, andere Male in die pflanzenverschlungenen Außenräume von Naturlandschaften führt.

Mit vielen akribisch übereinander gemalten Farbtupfern bringt Klara Schlütter jene Poesie vor Augen, mit der das helle Sonnenlicht Blumenfelder und Baumkronen in abstrakte Tänze verwandelt. Das bewegte Spiel unzähliger Farbübergänge lässt keinen Zweifel: Es gibt Wirklichkeiten, die sich nicht greifen lassen, die aber nichtsdestoweniger vorhanden und wirksam sind. Das derartige Wirksamkeiten häufig unter der sichtbaren Oberfläche geschehen, ist wiederum Reinhard Wittkowskis malerisches Thema. Seine zerfaserten Strukturgebilde erscheinen wie vielfach vergrößerte Nervenfasern oder Mikroorganismen. Sie bezaubern, während sie im selben Moment abschreckend sind. Sie kommen in ihrer Gestalt zugleich äußerst zerbrechlich und flüchtig vor. Man scheint sie zu kennen, ohne sie vorher gesehen zu haben. Und sie wirken seltsam vertraut in ihrer zweifellosen Fremdheit.

An einem Ort der Wissenschaft, wo angehende Mediziner die Gewissheiten der körperlichen Anatomie erlernen, verweisen die Gemälde von Klara Schlütter und Reinhard Wittkowski auf die paradoxe Einsicht, das gerade die Ungewissheit zu den größten Gewissheiten unserer Realität gehört. Die Vermittlung dieser Erfahrung ist wie keine andere die Domäne der Kunst, speziell der Malerei. Dass man sie quasi im Durchgehen in einem Eingangsbereich machen kann, mag auf den ersten Gedanken äußerst überraschend erscheinen. Doch Kunstwerke entfalten Momente der Besinnung und Erkenntnis eben nicht nur in Museen und Kirchen.